ZWISCHEN FEUER, EIS UND LEBENSRUHE

Violinistin Lisa Batiashvili und Chefdirigent Roberto González-Monjas kennen sich schon seit Ewigkeiten. Im Mai 2023 stehen sie in Winterthur zum ersten mal gemeinsam auf der Bühne. Hier sprechen sie über ihre Zusammenarbeit, ihre Liebe zur Musik und den aktuellen Zeitgeist der Musikindustrie.

Lea Nitsch im Interview mit Lisa Batiashvili und Roberto González-Monjas

Gamardschoba Lisa Batiashvili!
Hola Roberto González-Monjas!

Es gibt an den zwei Konzertabenden zwei Werke von Sibelius und eins von Brahms. Wieso haben Sie sich für dieses Programm entschieden?

RGM: Die ganze Idee dieses Programms folgt einem roten Faden, der sich durch unsere Saison zieht. In Winterthur haben wir einfach das unglaubliche Glück, ein super Publikum zu haben, das mit uns auf jede mögliche Reise kommt. Für die nächsten drei Saisons haben wir jetzt ein Triptychon geplant. Dabei steht jede Saison unter einem Oberthema. In der aktuellen Saison geht es um das Thema «Werden» und das Streben nach idealisierter Schönheit, Natur und Mythologie. Auch das Konzertprogramm mit Lisa geht ein wenig in diese Richtung. Man fängt mit Sibelius’ «Pan und Echo» an. Das ist ein mythologisches Stück, das wenige kennen. Das handelt von Tanz und Unterhaltung. Durch das darauf folgende Sibelius-Violinkonzert erfährt man dann ein bisschen die raue Seite des Lebens. Bei der zweiten Sinfonie geht es darum, dass Brahms diese herbstliche Energie in Österreich gefunden hat. Für mich ist das ein Programm mit Komponisten, die eine gewisse Reife im Kopf haben und das durch ihre Musik ausdrücken. Trotzdem ist Sibelius vor allem eine Zusammenarbeit mit Lisa.

Lisa, Sie können bereits eine renommierte Aufnahme des Violinkonzerts von Sibelius auf Ihre Repertoireliste setzen. Haben Sie für das anstehende Konzert in Winterthur das Stück anders verstanden oder neu entdeckt?

LB: Ja und Nein. Ich freue mich immer, auf die Stücke zurückzukommen, die ich sehr gut kenne. Man muss sich nicht mehr durch die Anfangsphase durchkämpfen und kann schauen: Was kann ich ändern? Was sollte so bleiben? Indem Moment, wo man mit seinem ganzen Körper und seinem ganzen Geist das Stück verstanden hat, bleibt die Basis. Danach kann man Kleinigkeiten immer wieder verändern und anpassen oder auch ganz spontan im Konzert umdenken.

Sie kennen das Stück von Sibelius beide schon sehr gut. Hat das Ihre Zusammenarbeit beeinflusst? Gab es Probleme?

RGM: Im Gegenteil. Wir sind beide Geiger*innen, das ist dann eh eine schöne Konstellation und Arbeitsgrundlage. Ich glaube, wir sind uns in unserer Arbeitsweise auch recht ähnlich: Es geht nicht darum, Fotokopien zu machen. Jedes Konzert ist anders. Es geht darum, gemeinsam musikalische Spontaneität zu erforschen. Deswegen ist das gemeinsame Arbeiten fast kammermusikalisch. Man macht Musik auf der Bühne, man reagiert, wenn es Probleme gibt und dann löst man sie zusammen. Das machen wir viel eher, als eine Interpretation quadratisch an den Anfang zu setzen.

LB: Absolut, ja. Ich glaube, man braucht sich überhaupt keine Sorgen zu machen, bevor man gemeinsam auf der Bühne steht. Der Moment, wenn man sich in der Musik begegnet, ist immer spannend. Und ich glaube, wir als Künstler*innen sind auch flexibel genug, um bei jedem musikalischen Partner neue Wege wahrzunehmen und uns inspirieren zu lassen. Diese Art von Zusammenarbeit ist sehr viel eher kammermusikalisch. Da gibt es nicht mehr einfach die Solistin und den Dirigenten.

RGM: Ganz genau. Man kann alles planen, aber muss auch offen für neue Wege sein. Oft sind diese Ideen sehr spontan und das ist auch schön so. Man muss akzeptieren und sich auch freuen, dass man jeden Tag immer ein wenig anders vor dem Publikum steht.

Welche Unterschiede sehen Sie denn zwischen der Arbeit an den Stücken von Sibelius und Brahms?

LB: Die Frage überlasse ich erst mal Roberto (lacht).

RGM: Eigentlich ist alles unterschiedlich. Das sind zwei sehr verschiedene Komponisten. Brahms war ein extrem intellektueller Komponist. Er war unglaublich akribisch und strukturiert im Kopf. Das sieht man auch, wenn man seine Partituren liest, diese Kontrolle über jedes Element. Auch wenn man denkt, er war ein Super-Romantiker. Die Art, wie er denkt und komponiert, stammt aus der Wiener Klassik und war beeinflusst von Mozart, Haydn und Beethoven. Deswegen ist Brahms so einmalig. Sibelius ist auch für einen finnischen Komponisten ein Einzelfall. Er ist unfassbar romantisch und intuitiv. Die Musik explodiert an manchen Stellen regelrecht und an anderen plötzlich nicht mehr. Man sieht immer die menschliche Seite und man sieht auch, wo Sibelius mit sich kämpft. Deswegen sind die beiden wirklich wie Nacht und Tag.

LB: Bei Brahms ist es genau wie Roberto sagt. Als ich das Violinkonzert von Brahms aufgenommen habe, habe ich immer gedacht: Wie spielt man Brahms eigentlich richtig? Die Technik und die Herangehensweise von Brahms ist so anders als alles, was man kennt. Du kannst jede Sinfonie der Welt dirigieren und bei Brahms ganz viele Fragen haben, die du nicht beantworten kannst. Es ist so eine klare Sprache, wo man jeden Ton ausspricht. Bei Sibelius ist das sehr emotional bedingt. Man spürt diesen Sturm und Drang aus Finnland.

RGM: Total! (lacht)

LB: Trotzdem sind sie sich irgendwo ähnlich, auch musikalisch. Ich glaube, am Ende verbindet sie vor allem diese Leidenschaft, die beide für die Musik haben. Ganz auf ihre eigene Art und Weise.

Um das Programm ein bisschen greif- barer zu machen, wagen wir jetzt einen Versuch. Sie sollen in einfachen Worten ihr Programm für das Publikum zusammenfassen: Wenn Sie jedem Stück eine Überschrift geben müssten, welche wäre das?

LB: Zu Sibelius fallen mir sehr viele Überschriften ein. Je nachdem, in welcher Stimmung ich mich gerade befinde. Manchmal ist das für mich ein «Sonnenstrahl» oder manchmal auch «brennendes Eis».

RGM: Das wollte ich gerade sagen. «Feuer und Eis». Das ist genau, wie Lisa das spielt. Für das erste Stück von Sibelius würde ich «Mythologie und Tanz» benutzen, weil das wirklich gut beschreibt, was für ein Stück es ist. Dieses kleine Intermezzo mit einem finnischen Walzer, der sich aber irgendwie um Mythologie dreht. Bei Brahms’ zweiter Sinfonie ist es schwierig, eine Überschrift zu finden. Ich finde einfach diese Reife von Brahms besonders wichtig. Diese Lebensruhe, wo man nicht mehr ungeduldig sein muss. Lebensruhe und Lebensfreude – vielleicht diese beiden Worte.

Was sind Ihre Lieblingsstellen im Programm?

LB: Wahrscheinlich im zweiten Satz, dieser Höhepunkt in der Mitte, wo es ganz ganz laut wird.

RGM: Da spielt das Orchester die Reprise, wo du diese leidenschaftliche Begleitung machst.

LB: Es kommt dann so ein Punkt, wo die Geige in die Höhe geht und dann auf einmal zur Begleitung eines Bratschen-Themas wird. Das ist eine unglaubliche Stimmung in dem Moment, weil diese Begleitung so vielsagend ist und auch im Kontrast zum Bratschen-Thema steht. Für mich ist das tatsächlich der Höhepunkt des ganzen Violinkonzerts.

RGM: Bei Sibelius habe ich auch eine Lieblingsstelle. Sibelius war ja auch mein Probespiel und Prüfungskonzert. Da habe ich den ersten und zweiten Satz wirklich geliebt und den dritten wirklich gehasst zu spielen. Für mich war das nicht so einfach zu spielen. Aber jetzt als Dirigent ist es mir die grösste Freude, den dritten Satz zu dirigieren. Ich muss nur 1, 2, 3 dirigieren und kann der Solo-Geigerin beim musikalischen Pirouettendrehen zusehen. Da habe ich mich dann entschieden, dass ich lieber Sibelius dirigiere als spiele, und das ist eine gute Entscheidung. Bei Brahms finde ich, ist die zweite Sinfonie einfach ein Meisterwerk in sich. Wie das alles geschrieben ist. Als ich im Vorbereitungsprozess war, war ich die ganze Zeit sehr emotional bei der Sache. Diese Naturfreude, diese Ruhe, diese Inspiration. Das passt alles sehr gut in unser Saisonthema.

Was soll das Publikum aus Ihrem Konzert mitnehmen?

LB: Für mich ist das Wort Dankbarkeit sehr wichtig. Man sollte dankbar sein für das, was man hat, und nicht wollen, was man nicht hat. Das spiegelt sich auch in der Musik, dieses Reflektieren und In-sich-Gehen. Dann hat der Kopf die Möglichkeit, sich die Gedanken selbst auszusuchen und Dinge neu zu verarbeiten.

RGM: Da kann ich mich nur anschliessen. In diesen Tagen möchte ich, dass das Publikum Trost mit nach Hause nimmt. Es geht mir um einen schönen Moment, etwas zwischen den furchtbaren Nachrichten und Aggressionen dieser Welt. Das wäre mir wichtig.

Nun ist es so, dass wir in schwierigen Zeiten leben. Corona, Ukraine-Krieg, Klimakrise: Bleibt die Welt aussen vor oder spielt sie auch im Konzertsaal eine Rolle?

LB: Die Weltsituation heute spielt schon eine grosse Rolle. Ich denke, wenn in der Welt ein so schrecklicher Konflikt wie der Ukraine-Krieg ist, dann wird mehr oder weniger alles andere irrelevant. Es sei denn, man tut etwas dagegen. Wir können in der Musik natürlich keine grossen politischen Entscheidungen treffen oder beeinflussen. Aber wir können trotzdem die richtige Sprache und Botschaft finden. Für mich ist das natürlich auch eine sehr persönliche Geschichte. Jedes Konzert ist für mich eine Plattform, um zu sagen: Das ist nicht egal und es ist wichtig, dass wir darüber sprechen. Das ist nicht für jede*n Künstler*in so. Ich bin aber froh, dass es einige Kolleg*innen gibt, die sich tatsächlich auch mit dem Thema beschäftigen. Die Kultur hat eine wichtige Rolle bei der Sache.

RGM: Es ist natürlich eine sehr schöne und leichte Lösung zu sagen: «Ich bin Künstler, was soll ich machen? Ich stehe nur auf der Bühne und spiele meine Töne.» Wir müssen alle verstehen, dass es nicht nur darum geht, auf der Bühne ein Statement zu machen. Es geht auch darum, hinter der Bühne etwas zu tun. Wir sind eine Disziplin, die sich um Toleranz kümmert. Ohne die Zusammenarbeit, ohne das Aufeinander hören, ohne den Respekt und die Entgegennahme der Meinung anderer funktioniert Musik überhaupt nicht. Wenn wir diese Werte richtig leben wollen, müssen wir auch reagieren. Am Anfang habe ich Lisa für ihre Haltung sehr bewundert. Ich hatte ein bisschen mehr Angst als sie und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Mit der Zeit habe ich aber festgestellt, wie wichtig es ist, sich auch öffentlich zu positionieren. Man sollte nicht einfach still und heimlich auf einen besseren Tag warten.

LISA BATIASHVILI SPIELT SIBELIUS
MI 24. MAI 2023, 19.30 UHR
DO 25. MAI 2023, 19.30 UHR