«DEINE BEINE MÜSSEN SICH WIE BAUMSTÄMME ANFÜHLEN!»

Ein Porträt über die Mezzosopranistin Joyce DiDonato von Sophie Emilie Beha

Eine Yankee-Diva ist sie nicht mehr. Zumindest bezeichnet Joyce DiDonato sich nicht länger selbst so auf ihrer eigenen Website. Über die Gründe schweigt sie. Dabei ist die Mezzosopranistin sowieso viel mehr als ein kreativ zusammengesetzter Begriff es je ausdrücken könnte. Wenn, dann würde ich sie neben vielem eine Strahle-Stimmgöttin, Vorbilds-Lotsin, oder Weltspitzen-Erklimmerin nennen. Schon als Kind singt sie im Chor. Die Opernkarriere beginnt sie aber erst mit knapp 20 Jahren. Reichlich spät. Ihre lebenslange Liebe dafür entdeckt DiDonato an einem eher ungewöhnlichen Ort: im Vorlesungssaal. «Mein Vater hat mich zwar auch vorher schon mal mit in die Oper genommen. Aber da hat sie mich noch nicht gefesselt. Erst als ich mit meinem Musikstudium angefangen habe, konnte ich verstehen, wie viel Technik und Mühe hinter dem Gesang steckt. Da hat Oper meine Welt gerockt und mein Leben total verändert.»

Denn Joyce DiDonato wird nicht, wie eigentlich angepeilt, Musiklehrerin, sondern Opernstar. Das kennt man mitten im US-amerikanischen Kansas so eher nicht. Und Spätzünder*innen kommen eigentlich in den Operngesangslebensläufen auch nicht vor. Das Gleiche gilt für Gastro-Jobs: Denn bevor sie abends ihre Arien schmettern kann, ist Joyce DiDonato erstmal mit Abwaschen und Ackern beschäftigt. «Ich war eine gute Kellnerin, habe das ungefähr zehn Jahre lang gemacht. Da musste ich zusehen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene», erzählt sie in einem Interview mit dem Tagesspiegel. «Ich glaube, dass ich gut kommunizieren kann. Ich konnte einen Tisch lesen, habe verstanden: Dies ist ein Geschäftstreffen, dies ein romantisches Dinner, diese Leute fühlen sich wohl, denen musst du schmeicheln. Es ging darum, die Bedürfnisse an jedem Tisch zu verstehen. Und ich war eine gute Entertainerin.»

Das ist Joyce DiDonato auch heute noch – oft mit Rossini, Händel oder Mozart und starken, unabhängigen Frauenfiguren. Alternativ spielt sie immer wieder auch männliche Charaktere, sogenannte Hosenrollen: «Das sind die Figuren mit der grössten dramatischen Entwicklung», sagt sie im Tagesspiegel. «Ausserdem haben sie etwas sehr Befreiendes. Männer sind im Allgemeinen direkter. Es war, als hätte ich die Lizenz bekommen, im Leben einfach zu sein, wer ich bin.» Auch, wenn dieser Ansicht sicherlich nicht alle zu stimmen würden, das Divenhaft-Gekünstelte liegt Joyce DiDonato sowieso nicht. Sie komme mittlerweile lieber gleich zur Sache. Das spare viel Zeit und Energie. Geholfen haben dabei ihr argentinischer Partner, Barcelona und andere Kulturen als die im Mittleren Westen. «Niemand lässt da raus, was er wirklich denkt.»

Neben ihren zahlreichen Bühnenauftritten gibt sie immer wieder auch Masterclasses: «Deine Beine müssen sich wie Baumstämme anfühlen, die zwei Meter in die Erde wachsen!» Wenn das gelänge, dann würde der Atem nur so durch sie hindurchfegen, fast wie eine Rakete. Ihren Zündstoff will sie teilen: «Ich fühle ich mich sehr geehrt, eine Strecke des Wegs von Student*innen zu begleiten und mit ihnen ihr Potenzial zu verwirklichen. Meine Aufgabe besteht in erster Linie darin, ihnen dabei zu helfen, Blockaden zu lösen.» Denn die Blockaden – egal ob technisch, künstlerisch oder persönlich – halten die jungen Sänger*innen, laut DiDonato, von ihrer völligen stimmlichen Freiheit ab. «Zu sehen, wie jemand erkennt, dass er sein komplettes Potenzial schon in sich trägt, ist einfach extrem befriedigend.»

Auf ihren Profilen in den Sozialen Netzwerken zitiert sie gerne ein Gedicht des persischen Poeten und Mystikers Hafis: «Selbst nach all dieser Zeit sagt die Sonne nie zur Erde: ‹Du stehst in meiner Schuld.› Schau, was eine solche Liebe bewirkt, sie erleuchtet den ganzen Himmel.» Für DiDonato sind diese Zeilen «ziemlich perfekt. Sie fangen eine Art von Liebe ein, von der ich glaube, dass die Welt sie braucht.» Das stimmt vermutlich gerade umso dringlicher. Immer wieder spricht sie über die Freude (im Englischen gibt es dafür das schöne Wort joy), die ihr die Musik schenkt und die sie durch die Musik an andere weitergeben will. Der Beruf hat offenbar nicht ihre Liebe schmälern lassen.

Wenn das Jetset-Life oder der proppenvolle Terminkalender dann doch mal anstrengend sind, sucht sie Erholung in der Natur und in der Stille. Abseits der Bühnenblitzlichter, zuhause beim Gärtnern, morgens mit Yoga – oder ganz simpel: «Einer der besten Wege ist Schlaf.»

Dieser Pragmatismus ist wohl ein Yankee-Überbleibsel. Oder Erfahrung. Auf der Bühne widmet sich Joyce DiDonato zwar mit Inbrunst ihren Figuren, weiss aber mittlerweile auch, wann sie eine Grenze ziehen muss. Wird man zu emotional, reagiert die Stimme nicht wie sie soll: «Wenn du auf der Bühne anfängst zu weinen, schnürt es dir die Kehle zu.» Früher habe sie ihre Rollen gelebt, sagt die Mezzosopranistin. Mittweile habe sie mehr Vertrauen zu sich selbst als Darstellerin und gewinne dadurch Abstand zum Stoff. Auf der Bühne seien ihr die Momente voll angespannter oder ergriffener Ruhe wichtiger als der Applaus. Denn der sei manchmal etwas gezwungen, schliesslich stehe da ja nun einmal die Mezzosopranistin Joyce DiDonato auf der Bühne!

Schwarze Seidenvolants und ein halbdurchsichtiges Spitzenoberteil. Die Augen sind geschlossen, der Kopf hebt sich gen Himmel. Ihre Notenmappe umarmt Joyce DiDonato, so als würde sie ein Kind an ihre Brust drücken oder ein heissgeliebtes Kleidungsstück. Andächtig steht sie da, versunken und trotzdem präsent. Neben ihr sitzt am aufgeklappten Flügel Yannick Nézet-Séguin. Die Szene ziert das Cover der «Winterreise»-CD, die 2021 beim Label Erato erschienen ist. In Winterthur wird sie den Gipfel des romantischen Kunstlieds mit dem Pianisten Craig Terry besteigen.

«Ich gehe an die Winterreise mit grosser Dankbarkeit heran – es ist ein unglaubliches Geschenk, als Sängerin in diese Poesie und diese Musik einzutauchen. Schuberts harmonische Welt ist einfach und tiefgründig. Sie vermittelt mit Perfektion die menschliche Erfahrung, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Es ist ein demütigendes Unterfangen, aber eines, das sich ungemein gelohnt hat.» Wichtig bei der Winterreise ist jeder Ton, jedes Wort. «Kein einziges Detail darf übersehen werden.» Deswegen hat DiDonato auch besonders akribisch die Partitur studiert. Das sei schliesslich der Schlüssel. Enttäuschung, Entrückung, Entsetzen – die ganze Palette an Empfindungen füllt sie aus. Sie singt mit Emphase, lässt Töne und Vokale flackern. Mit fast brutaler Schönheit strahlt am Ende von «Gute Nacht» plötzlich Dur in die Kälte, ein utopisches Verlangen nach Glück, vielleicht auch nach joy. Joyce DiDonato malt es voll aus. Sie identifiziert sich dabei nicht mit dem Wanderer, sondern mit dem «fein Liebchen». Ihr Ausgangspunkt war nämlich die Auseinandersetzung mit der Figur der Charlotte aus Massenets Oper «Werther». Bei ihr wisse man nicht, was passiert, sobald der Vorhang fällt. Genauso sei das bei der Winterreise: Was passiert eigentlich mit der Geliebten?

Wer’s wissen will, der und die höre ihr im Stadthaus Winterthur zu. «Ich singe zum ersten Mal hier und freue mich schon sehr darauf, Publikum und Orchester kennenzulernen und eine echte Verbindung aufzubauen.» Musik ist schliesslich Kontakt. Egal ob im Konzertsaal, bei Schubert oder Berlioz, mit Studierenden oder allein unter der Dusche. Joyce DiDonato ist keine Yankee-Diva, sondern eine Kommunikationskönigin. Mindestens.

 

Erleben Sie unsere #FOLLOW-Künstlerin Joyce DiDonato eine ganze Woche in Winterthur. Die «Masterclass Gesang» in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste ist öffentlich – und vermittelt wie die Wahrnehmung verfeinert und Musik immer tiefer gedacht wird.

 

#FOLLOW Joyce DiDonato
SA 25. MÄR, 14.00 – 17.00 UHR
Masterclass Gesang

SO 26. MÄR, 18.00 UHR
Winterreise mit Joyce DiDonato

MI 29./DO 30. MÄR, 19.30 UHR
Les nuits d'été mit Joyce DiDonato

DO 30. MÄR
Red Sofa im Anschluss an das Konzert im Park Hotel (Comensoli-Saal)
Mark Liebenberg im Gespräch mit Joyce DiDonato und Roberto González-Monjas im Gespräch mit Dominik Deuber